Schlangengifttherapie
Schlangen, Spinnen und Skorpione als Verbündete gegen Herzinfarkt und Krebs, Pfeilgiftfrösche und Meeresschnecken als Helfer bei Schmerz: Die todbringenden Gifte vieler Tierarten sind eine wahre Fundgrube und Inspiration für Forscher bei der Suche nach neuen, effektiveren Therapien. Die in Tiergiften enthaltenen Eiweißstoffe wirken als Nerven- und Zellgifte, senken den Blutdruck oder hemmen die Blutgerinnung. Was durch Bisse, Stiche oder Berührungen zur tödlichen Gefahr wird, kann in niedriger Dosierung durchaus gegen Schmerzen, Krebs und Herzkrankheiten helfen oder als Ausgangsstoff für die Entwicklung neuer Wirkstoffe dienen.
Erfolgsgeschichte: Blutdruckersenker aus Schlangengift
Eine Erfolgsgeschichte schrieben die millionenfach verordneten Blutdrucksenker.
Bei ihrer Entwicklung hatte der Zufall die Hände im Spiel. Als Forscher in den
sechziger Jahren im Gift der brasilianischen Viper Bothrops jaracusa eine
blutdrucksenkende Substanz entdeckten, ahnten sie nicht, dass sie soeben den
Prototyp einer völlig neuen Substanzklasse isoliert hatten. Die so genannten
ACE-Hemmer trieben die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen entscheidend
voran. Sie blockieren das Angiotensin-Converting-Enzym (ACE), das den
körpereigenen Botenstoff Angiotensin I in stark blutdrucksteigerndes Angiotensin
II umwandelt. Mit dem Wirkstoff Captopril kam 1981 der erste ACE-Hemmer auf den
deutschen Markt. Es folgten Enalapril, Ramipril und einer Reihe weiterer
Wirkstoffe mit der Endung »-pril«. Ursprünglich als Blutdrucksenker entwickelt,
stellten die Gift-Abkömmlinge bald weitere Qualitäten unter Beweis: So helfen
sie bei Herzschwäche und senken das Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall
zu erleiden.
Gift inspiriert zu neuen Entwicklungen
Bienengift gegen Rheuma, getrocknete Kröten bei Herzschwäche, das Gift der
»Spanischen Fliege« als Aphrodisiakum – schon immer haben sich Heilkundige von
der Giftküche der Natur inspirieren lassen. Doch erst der rasante technische
Fortschritt der letzten Jahrzehnte ermöglichte es, komplexe Giftgemische
systematisch auf potentielle Arzneistoffe zu untersuchen und viel versprechende
Wirkstoff-Kandidaten chemisch zu optimieren.
Vipern- und Klapperschlangengift gegen Herzinfarkt
Aus einem erinnungshemmenden Eiweiß im Gift einer afrikanischen Viper
entwickelten Pharmaforscher Ende der neunziger Jahre den Wirkstoff Tirofiban –
den ersten Vertreter einer neuen Gruppe von Gerinnungshemmern mit dem
komplizierten Namen Glykoprotein-IIb/ IIIa-Antagonisten. Diese verhindern, dass
Blutplättchen verklumpen und Gefäße verstopfen; bei akuten Herzbeschwerden im
Krankenhaus gegeben, mindern sie das Infarkt-Risiko. Wenig später folgte als
zweiter Vertreter Eptifibatid ("Barbourin"), für den trotz identischer
Wirkungsweise ein anderes Schlangengift Pate stand: das der Klapperschlange
Sisturus miliarus barbouri
Malaiische Gruppenottern helfen beim Raucherbein
Direkt von den Reptilien stammte dagegen ein Gerinnungshemmer älteren Datums.
Auf dem Gelände der ehemaligen Knoll AG in Ludwigshafen am Rhein stand bis vor
kurzem Europas größte Schlangenfarm. Deren exotische Bewohner, rund 3000
malaiische Grubenottern, spendeten Gift für die Herstellung des
gerinnungshemmenden Enzyms Ancrod, das Ärzte lange zur Behandlung des
Raucherbeins einsetzten. Im März vergangenen Jahres verloren die Schlangen im
Zuge einer Firmenfusion ihren Job.
Spinnengift fürs Herz
Als Wirkstofflieferanten kommen freilich nicht nur Schlangen in Frage. Das
beweist ein Blick in internationale Forschungslabors: Eine Substanz aus dem Gift
der roten Chile-Vogelspinne scheint bei schweren Herzrhythmusstörungen zu
helfen. Das Gift der Zebraspinne könnte das Gehirn nach einem Schlaganfall vor
schweren Schäden bewahren. Der winzige ecuadorianische Pfeilgiftfrosch sondert
über seine Haut ein Gift ab, das 200 Mal stärker wirkt als das stärkste bekannte
Schmerzmittel. Noch effektiver ist das schmerzstillende Gift der Kegelschnecke
Conus magus. Das Sekret der Krustenechse Heloderma suspectum eröffnet neue
Perspektiven in der Behandlung von Diabetes Typ 2. Und der gelbe israelische
Skorpion interessiert Forscher gleich doppelt: Sein Gift hilft bei der Suche
nach neuen Schmerzmitteln und scheint zudem bei bestimmten Hirntumoren zu
wirken. Und wer weiß, welche Überraschungen die Gifttiere sonst noch auf Lager
haben?
Therapie für Heuschnupfenpatienten ohne Nebenwirkungen
Von Susanne Schnabel
"Wenn andere sich auf den Frühling freuen, über jede Knospe, über jeden regenfreien Tag, dann kam bei mir der große Frust hoch", sagt Petra Karkowski. Jahrelang litt sie unter Heuschnupfen, genau wie 13 Millionen weitere Deutsche: geschwollene Augen, Atemnot, Triefnase und Nies-Attacken sind die häufigsten Auswirkungen. An manchen Tagen konnte die 41-Jährige wegen der starken Beschwerden nicht zur Arbeit gehen. Vor drei Jahren machte Petra Karkowski Bekanntschaft mit Schlangengift - zwölfmal per Spritze verabreicht und stark verdünnt. Seitdem hat sie Ruhe. "Ich fühle mich prima, genieße Spaziergänge mit dem Hund und freue mich wie alle anderen über den Frühling."
Alles hatte die Gladbeckerin zuvor ausprobiert, Tabletten mit und ohne Cortison, diverse Sprays. Nichts hatte geholfen. Im Gegenteil: "Ich hatte massive Magenprobleme von den Tabletten. Aber nach der ersten Spritze mit Schlangengift ging es mir schon am gleichen Tag besser."
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Ein tödlicher Schlangenbiss enthält 75 Milligramm Gift. Die heilende Wirkung in der Therapie hängt entscheidend von der Dosis ab. Ein Hundertstel Milligramm genüge für die Behandlung, sagt Norbert Zimmermann. Er leitet das Zentrum für Naturheilverfahren in Bottrop und mixt dort bereits seit 25 Jahren Schlangengift-Cocktails für seine Patienten. "Ich habe mich unter anderem mehrmals in Indien über den Einsatz von Schlangengift informiert. Diese Therapie ist ohne Nebenwirkungen und hilft über Jahre. Gegen Heuschnupfen setzte ich Schlangengift erst seit kurzem ein, aber mit großem Erfolg", sagt Zimmermann. Das Gift verwendet der Heilpraktiker ebenfalls gegen Asthma, Migräne und Neurodermitis. Grundsätzlich kann sich jeder dieser Behandlung unterziehen. Da das Gift mit Jod versetzt ist, ändert der Experte bei einer Unverträglichkeit den Gift-Mix individuell.
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Zimmermann bekommt das Gift von einer Schlangenfarm in Braunschweig. In Berlin wird der wertvolle Saft von einem unabhängigen Institut noch einmal kontrolliert. "Da besteht keine Gefahr, das Gift ist sehr stark verdünnt. Obwohl einigen Patienten bei dem Gedanken an Schlangengift doch ein wenig unwohl ist ."
Und so funktioniert's: Die Enzyme des Schlangengiftes sollen in der Natur das Beutetier vorverdauen. Als Heilsubstanz führen diese Enzyme zur Bildung von Antikörpern im Blut und damit zu einer gesteigerten Aktivität des Immunsystems. Der Heuschnupfen hat keine Chance auszubrechen. So lautet die Theorie. In der Praxis geben viele zufriedene Patienten dem Heilpraktiker Zimmermann Recht. Kosten pro Behandlung: 105 bis 155 Euro, darin inbegriffen ist auch eine begleitende Akupunkturtherapie. Da mit zehn bis zwölf Behandlungen zu rechnen ist, muss der Heuschnupfenpatient für die gesamte Therapie rund 1.800 Euro einkalkulieren. Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht.
An der Universitätsklinik in Aachen ist die Schlangengift-Therapie gegen Heuschnupfen noch nicht bekannt. "Davon habe ich noch nie etwas gehört", sagt der Allergologe Dr. Stefan Erdmann. "Logisch kann ich mir die Wirkung von Schlangengift im Zusammenhang mit Heuschnupfen nicht erklären. Aber ich will auch nicht ausschließen, dass ein gewisser Placebo-Effekt eintritt und funktioniert. Ich würde meinen Patienten eher zu Methoden raten, die bereits an Tausenden von anderen Betroffenen erfolgreich waren, zum Beispiel die Hyposensibilisierung". Auch der Deutsche Allergie- und Asthmatikerbund (DAAB) bevorzugt die Hyposensibilisierung. "Akupunktur oder homöopathische Produkte können bei Heuschnupfen sinnvoll sein. Bei Schlangengift gibt es keine mir bekannten Statistiken. Aber bewährt hat sich nach unseren Erfahrungen die Hyposensibilisierung. Dabei gibt es mittlerweile kurze Therapien, bei der der Patient nicht über Monate wöchentlich zum Arzt laufen muss, um sich seine Spritze abzuholen", sagt Ingrid Voigtmann vom DAAB. Bei der Hyposensibilisierung spritzt der Arzt über gewisse Zeiträume hinweg kleine Mengen der Allergie-Auslöser, bis der Patient desensibilisiert ist und weniger oder keine Beschwerden mehr hat.